Bei uns brennt nicht nur der Röster

2012 übernimmt Lutz Reinhart-van Gülpen die traditionsreiche Kaffeerösterei von seinem Vater Alex Reinhart-van Gülpen in sechster Generation. Warum der studierte Toningenieur für das Rösten brennt und sich für den Einstieg ins Familienunternehmen entschieden hat , hat er uns im Rahmen unserer Kampagne „Unsere Wirtschaft“ verraten.

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Meine Karriere. Verwurzelt und vielschichtig mit Tradition.

Geboren und aufgewachsen ist der heute selbst vierfache Vater in Emmerich am Rhein. Schon vor dem Abi am Willibrord Gymnasium stand fest: Lutz wollte raus aus der Kleinstadt. Nach bestandener Prüfung zog er erst nach Düsseldorf und landete schlussendlich in Köln, wo er ein Studium zum Toningenieur begann. In verschiedenen Tonstudios produzierte er Radiowerbung und Hörspiele, ein Job, der dem Musikaffinen Niederrheiner viel Spaß gemacht hat.

2012 beginnt sein Vater Alex Reinhart-van Gülpen einen Nachfolger für die Rösterei zu suchen, in der seit 1870 in den legendären ‚Kugelbrennern‘ Kaffee geröstet wird. „Einen Familienbetrieb mit so einem schönen Produkt und einer langen traditionsreichen Geschichte weiterzuführen war für mich sehr reizvoll. Auch privat konnte ich mir mit Kindern jetzt ein Leben in der Kleinstadt wieder sehr gut vorstellen.“

Vor dem Einstieg ins Familienunternehmen hatte Lutz beruflich nicht viel mit der Rösterei zu tun. Lediglich die Liebe zum Kaffee war schon da, denn dieser spielte in der Familie immer schon eine große Rolle. Mit zehn Jahren hat er als kleiner Junge angefangen, Kaffee zu trinken. Mit viel Zucker natürlich.

Nach dem gefassten Entschluss, in die Rösterei einzusteigen, begann Lutz ein einjähriges nebenberufliches Studium in Zürich. Denn dort befindet sich eines der zwei großen Forschungszentren für Kaffee weltweit. „Kaffee rösten hat viel mit Chemie zu tun und in Zürich konnte ich nicht nur sehr viel über die chemischen Zusammenhänge lernen, sondern auch wichtige Kontakte knüpfen und mir so ein wichtiges Netzwerk aufbauen.“

Ein Netzwerk, das heute wesentlich für einen Markt ist, der eine rasante Entwicklung genommen hat. Denn in den 80er Jahren hat sich eigentlich noch niemand für Kaffee interessiert, ein „Oma Getränk“ mit verstaubtem Image. Anfang der 90er Jahre begann mit der italienischen Kaffeekultur erst die Erfolgsgeschichte des Getränks, das schlussendlich auch durch die amerikanische Kette Starbucks zum Lifestyle-Produkt wurde. „Diese Entwicklung ist maßgeblich dafür, dass der Beruf des Kaffeerösters heute so spannend und vielseitig ist.“

„Einen Familienbetrieb mit so einem schönen Produkt und einer langen traditionsreichen Geschichte weiterzuführen war für mich sehr reizvoll."

Van Gülpen Kaffeerösterei. Natürlich. Anspruchsvoll.

Bis Anfang der 90er Jahre galt Kaffee als altbacken, dann wurde er zunehmend zu einem Lifestyle. Man traf sich auf einmal in der Kaßstraße oder auf der Rheinpromenade auf einen Cappuccino – etwas, was Mitte der 80er Jahre noch undenkbar gewesen ist, obwohl Ende 50er Jahre bereits die ersten Gourmetkaffees entwickelt wurden. Eine Nische, auf die sich die Vorfahren von Lutz bewusst konzentriert haben. „Den beginnenden Preiskampf mit den Massenprodukten konnten, und wollten, wir nicht gewinnen. Also wurden wir zu einem der ersten Röster für Spezialitätenkaffee in Deutschland und haben Feinkost– und Delikatessengeschäfte im ganzen Land mit dem ‚Royal Dinner Mokka‘ beliefert. Heute wird es zunehmend wichtiger, dass die Herkunft des Kaffees zurückverfolgt werden kann, der Produzent rückt immer mehr in den Fokus, es geht um Transparenz und Qualität – und damit weg vom billigen Massenprodukt. Eine Haltung, die in der Rösterei in Emmerich schon lange gelebt wird.

Die Lage in Emmerich am Rhein bedeutet für das Familienunternehmen viele Vorteile. „Hier sind wir zu Hause, unsere Geschichte ist hier. Viele Emmericher Unternehmen sind gute Kunden – man kann sagen, wir versorgen die Emmericher Wirtschaft mit dem notwendigen Koffein.“ Lediglich die Kaffeesteuer für Röstkaffe, die in Deutschland aktuell bei 2,19 Euro je Kilo liegt, verhindert, dass auch die niederländischen Nachbarn den traditionsreichen Emmericher Kaffee genießen wollen.

Wo Lutz‘ Vater noch alles händisch gemacht hat, setzt er selbst heute auf die digitale Steuerung des Röstvorgangs. „Die Erarbeitung des perfekten Röstprofils für jeden Rohkaffee bleibt Handwerk, aber sobald das Röstprofil steht, kann es digital immer wieder automatisiert nachgefahren werden und der Röster hält die optimale Temperatur von allein.“ Denn genau auf die kommt es an, die richtige Temperatur über den Zeitverlauf des Röstvorgangs entscheidet über Säure, Süße oder auch Bitterkeit des Kaffees.

Kommt ein Rohkaffee erste Mal bei van Gülpen in den großen Röster, bis zu 70 Kilo passen dort rein, erarbeitet Lutz das Profil, was die Software nachher nachfahren wird. Dazu wird immer und immer wieder verkostet, nochmal geröstet, wieder verkostet, wieder geröstet. „Durch die Software-Unterstützung können wir heute für jede Sorte einen gleichbleibenden Geschmack sicherstellen. Bei meinem Vater musste da noch mehr nach Gefühl geröstet werden.“

Nicht nur der Röstvorgang ist inzwischen digitalisiert, auch die Bestellung läuft über einen Online-Shop. Verpackt wird aber noch, je nach bestellter Packungsgröße, händisch – direkt vom Röster in die Tüte. Heute sind aktuell acht Mitarbeiter:innen in der Rösterei beschäftigt.

„Man kann sagen, wir versorgen die Emmericher Wirtschaft mit dem notwendigen Koffein.“

So schmeckt Kaffee
Bei der Röstung von Kaffeebohnen bilden sich flüchtige Aromastoffe, die den besonderen Geschmack einer jeden Röstkaffee-Sorte ausmachen. Am besten kann man diesen Geschmack durch fachmännisches Schlürfen beurteilen – und unter Röstern gilt, wer am lautesten schlürft, hat auch die meiste Ahnung.
Röstung ist Geschmackssache
Schon gewusst: Was die Röstprofile von Kaffee angeht, gibt es in Europa ein Nord-Süd-Gefälle. Im Norden wird sehr hell geröstet, bis nach Italien zunehmend dunkler und in Süd-Italien nahezu schwarz. Das natürliche Geschmacksprofil eines Kaffees wird deutlicher, je heller er geröstet wird.
„Entweder – Oder“ mit Lutz Reinhart-van Gülpen
Kaffee oder Espresso? Milch oder schwarz? Morgens als Koffein-Kick oder abends als Schlummertrunk?